Segeltörn in Holland (Harlingen)
für Maria
Ein Sprichwort sagt: „Wenn es dem Esel zu gut geht, dann geht er aufs Eis tanzen.“ Mein Eistanz waren die Wellen im holländischen Wattenmeer. Schon vorher hatte ich mehrmals die schwache Minute verflucht, in der ich beim Törggelen nach dem einen oder anderen Gläschen Rotwein Marias Drängen nachgab und mich zum Segeltörn im April überreden ließ. Törggelen ist im Oktober und gesegelt wird ja erst im April – da kann ja in der Zwischenzeit so viel passieren, beruhigte ich mich, und was kümmert mich schon mein Geschwätz von gestern.
Doch dann rückte der Termin immer näher und meine Träume in der Nacht wurden immer wilder. Schweißgebadet wachte ich manchmal auf, die Wellen schienen über mich zusammenzuschlagen und hämisch grinsten mich die Fische an. Mein Bett fing gefährlich an zu schaukeln und in meiner Verzweiflung musste das Kopfkissen als Rettungsring herhalten. Was hat ein Tiroler Nichtschwimmer auch auf einem Segelschiff in der Nordsee zu suchen? Der soll lieber auf die Berge steigen, sich im Jodeln üben oder mit dem Schuhplatteln beginnen. Aber kurzfristig absagen – nein, das ist nicht mein Ding. Die Schlinge um meinen Hals wurde immer enger. Indianer kennen keinen Schmerz und Tiroler keine Feinde. Kneifen kam nun nicht mehr in Frage. Auf nach Düsseldorf zur Vorbesprechung und bloß nichts anmerken lassen. Die Liste mit dem Proviant und den Getränken wurde immer länger – verhungern würden wir jedenfalls nicht und ich würde wenigstens gut genährt ins Wasser fallen und die Fische hätten was Anständiges zum Knabbern.
Erster Tag - Anreise
Freitag ging`s los. Die Tasche war gepackt, der Schlafsack vom Enkel verstaut, das Ziel Harlingen auf der Karte gesucht und gefunden, nun gab`s kein Zurück mehr. Schon der Start hatte seine Tücken. Ganz Nordrhein-Westfalen schien sich auf den Weg an die Nordseeküste zu machen. Der Verkehrsfunk war länger als die Nachrichten. A 3 gesperrt wegen LKW-Brand – also hieß es Haken schlagen: A 46 – A 57 – A 40 und dann wieder zurück auf die A 3, auch so kann man das Land kennen lernen. Dann endlich bei Emmerich die Grenze überschritten. Das Land war so flach, dass ich bereits die Küste zu sehen oder wenigstens zu riechen glaubte. Schließlich entdeckte ich auf beiden Seiten der Autobahn Tulpenfelder in verschiedenen Rotschattierungen – ich atmete auf, wir mussten wirklich in Holland sein. In gemächlichem holländischen Autobahntempo ging es weiter nach Norden und dann tauchte er plötzlich auf: der Deich, der uns vor der bösen Nordsee schützen sollte. Da fiel mir der Satz aus dem Geografieunterricht in der Mittelschule ein: „Gott schuf das Meer und der Holländer die Küste.“ Nun konnte es nicht mehr weit nach Harlingen sein, dem Ziel meiner Alpträume. Kurz davor ein Schild, das auf den Campingplatz hinwies, auf dem meine Begleiter Conchi und Ingolf eine Woche die holländische Gastfreundschaft testen wollten. Wohnwagen hingestellt, Wasser und Strom angeschlossen, Antenne ausgerichtet. Nun konnte das nahe Harlingen zu Fuß unter die Lupe genommen werden. Der erste Eindruck war durchaus positiv: ein schmuckes Hafenstädtchen fast mit Bilderbuchcharakter. Fritten- und Fischgeruch durchzog die Luft, Segelboote mit zwei und drei Masten lagen vor Anker und boten den neugierigen Touristen ihre Dienste an. So ungefähr musste auch unser Boot aussehen. Trotz gespannter Ausschau und Rundfahrt war es nirgends zu entdecken. Keine „Panta Rhei“ – so hieß der Klipper – weit und breit, aber da tauchten plötzlich Maria und Helmar, Karin und Andreas im Blickfeld auf. Allgemeine Erleichterung und das Boot liege nun doch ganz woanders, sie wüssten aber wo und außerdem dürften wir sowieso erst gegen 18 Uhr an Bord. Also ging der Rundgang durch Harlingen weiter, das Wetter zeigte sich noch von seiner besten Seite und dann standen wir endlich am Pier. Das Warten hatte ein Ende. Auch der Rest der Mannschaft traf langsam ein. Umarmungen und Händeschütteln und dann doch eine Hiobsbotschaft. Unser Boot war nur über das Deck von zwei andern Booten zu erreichen. Das Beladen erwies sich als erste Herausforderung – mühsames, vorsichtiges Steigen und dann der erste Schreck. Maria verlor ihren rechten Schuh. Er plumpste wie ein Stein ins moosige Hafenwasser und nur das heldenhafte Eingreifen von Ingolf rettete Maria vor einem barfüßigen Aufenthalt. Leider nahm Ingolfs Hose etwas von der grünen Moosfarbe an, aber ein bisschen Schwund gibt es immer. Vorsichtig tastete ich mich über die Schiffsplanken. Ich wollte nicht das Schicksal von Marias Schuh erleiden. Das konnte ja heiter werden, wenn der Anfang sich schon als so holperig erwies. Dann erster Kontakt mit den Kajüten: jeweils zu viert sollten wir uns die Dusche und die Toilette teilen, die sich in der Mitte von zwei Etagenbetten befanden – Jugendherbergserinnerungen schossen mir durch den Kopf. Als Zimmergenosse wurde mir Klaus zugewiesen. Sofort rief ich mir sämtliche Bibelzitate aus meinem Erstkommunionunterricht in Erinnerung. Ich nahm mir aber vor, so spät wie möglich in diese Maulwurfsfallen zu kriechen und mit dem Trinken vorsichtig umzugehen, damit mich meine Blase und Prostata in der Nacht nicht allzu häufig aus dem engen Schlafsack auf die noch engere Toilette zwangen.
Nach dem Abendbrot schlug Marias Stunde. Zuerst rief sich mich in die Mitte des Raumes und zu meinem Entsetzen verpasste sie mir zwei knallrote Schwimmflügelchen – Gott sei Dank waren es keine rosaroten. Ich kam mir vor wie beim Schwimmkurs für Schwangere. So also wollte man für die Lebensrettung des Schriftführers sorgen – ein paar aufrichtige Gebete an die richtigen Heiligen hätten es auch getan. Fehlte nur noch, dass man anfing zu singen: „Ach Egon, Egon, wir haben ja nur noch rote Flügel für dich gefunden…“ Dann quälte sie uns mit Denksportaufgaben, bei denen irgendwelche Zahlenkombinationen eine Rolle spielten – Tombola für Senioren. Die ganz Schlauen posaunten die Lösung gleich laut durch den Raum, damit auch jeder die Kreuzchen an die richtige Stelle setzen und die Intelligenz des Ausrufers bewundern konnte. Die Spannung war nicht mehr zu überbieten. Als Preise gab es auffallend viele Regenschirme – das konnte für das Wetter des nächsten Tages nichts Gutes bedeuten.
Dann weiter gemütliches Beisammensitzen – man kennt sich ja aus vielen gemeinsamen Veranstaltungen. An diesem Abend siegte noch die Bierfraktion über die Weintrinker – die Weltanschauungen wurden festgezurrt, die Sympathien für die Fußballvereine ausgelotet und die ersten Witze machten die Runde. Ich hielt mich tapfer auf den Beinen – Stunde für Stunde – dann machte ich mich frühmorgens doch auf in die Koje, kroch in den Schlafsack wie eine Raupe in ihren Kokon und versuchte eine
Mütze Schlaf zu nehmen. Klaus schien tief zu schlummern, wenigstens schnarchte er nicht trotz seines hohen Alters und an Diskussion war Gott sei Dank nicht zu denken. Durch das offene Bullauge pfiff der Nachtwind und ließ nichts Gutes für den nächsten Tag ahnen. Das leichte Schaukeln des Schiffes gab mir den Rest und sorgte für einige Stunden Schlaf.
Zweiter Tag – Segelschule
Am Morgen Katzenwäsche – das musste vorerst genügen, dann ab in den Gemeinschaftsraum zum Frühstück. Einige Frühaufsteherinnen waren schon zugange, der erste Blick nach dem Wetter durch die geöffnete Tür versprach nichts Gutes. Weit und breit nichts mehr zu sehen von der herrlichen gestrigen Sonne, stattdessen Wind und dunkle Wolken. Sollten sich meine schlimmsten Befürchtungen doch noch bewahrheiten – bloß nichts anmerken lassen!! Runter und ein unschuldiges Gesicht aufsetzen! Allmählich trudelten alle ein und als Marco dann auch noch die Rühreier fertig hatte, stand einem ausgiebigen Frühstück nichts im Wege. Dann schlug die Stunde der Wahrheit: der holländische Skipper und seine aparte Assistentin Julia machten uns ihre Aufwartung. Kurze Diskussion über das Ziel – die alten Hasen diskutierten eifrig mit, Wind und Wetter spielten dabei eine gewisse Rolle. Ich hielt mich vornehm im Hintergrund, schließlich kann man als Greenhorn keine Ansprüche stellen. Dann rauf aufs Deck und Julia erteilte erste Anweisungen: ich hörte nur mit einem Ohr hin – es ging um irgendwelche Knoten und Seilzüge. Wir verließen kreuz und quer den Hafen und steuerten mutig das offene Wasser an. Wind und Regen wurden immer heftiger und ich hatte mehr mit mir selbst zu tun als mich um Achterknoten zu kümmern. Helmar beruhigte mich mit der Aussage, er habe bei der Bestellung des Bootes auf unser fortgeschrittenes Alter hingewiesen und die anderen würden es schon irgendwie richten. Jedenfalls wäre es früher auch immer gutgegangen (eine der rheinischen Weisheiten). Die starken Männer machten sich nun ans Seilziehen und Segelsetzen – ich pfiff die Melodie von Wickie und den Wikingern leise vor mich hin – und dachte an eine gute Ausrede, falls mich doch einer in den Wind schicken sollte. Mit vollen Segeln ging es ganz schön flott voran und ich betrachtete die nasse Umgebung doch mit einem gewissen Unbehagen. Gemütlich sieht anders aus und der nächste Regenguss trieb mich wieder nach unten. Stillschweigend saß ich auf der Eckbank, lauschte mit einem Ohr den Frauen zu und mit dem anderen hörte ich in mich hinein. Von Seekrankheit noch keine Spur, auch wenn das Schiff manchmal in eine äußerst bedenkliche Schräglage geriet. Irgendjemand wird wohl Tabletten gekauft haben – beruhigte ich mich. Da fiel mir der Schweizer ein, der vor einer Kreuzfahrt Unmengen von Kondomen und Antischlechttabletten in einer Apotheke gekauft hatte. Daraufhin gab ihm der Apotheker mit einem süffisanten Lächeln zu bedenken, warum er es denn so oft mache, wenn ihm doch dabei immer so schlecht werde. Wir segelten also frühnachmittags munter in Richtung irgendwelcher friesischer Inseln, als es plötzlich einen heftigen Ruck gab. Wasser hat doch keine Balken – schoss es mir durch den Kopf, aber vielleicht hatten wir einen Seehund gerammt, denn Wale verirren sich bekanntlich höchst selten bis ins Wattenmeer. Das Schiff stand still und gespenstische Ruhe breitete sich aus. Die Segel flatterten im Wind,
aber das Schiff rührte sich nicht von der Stelle. Zwar lagen wir nicht vor Madagaskar, aber steckten im Schlick vor Texel. Ein ziemlich bedröppelter Skipper erklärte uns, aufgrund eines obskuren Motorschadens etwas vom Kurs abgekommen zu sein und nun auf einer Sandbank festzuliegen. Kein Grund zur Panik – Hilfe sei schon in Sicht – und wirklich näherte sich uns ein kleiner Schlepper, sozusagen der holländische Wasser-ADAC. Dieser versuchte aber vergeblich, uns wieder von der Sandbank herunterzuziehen. Wenn man es mit Elefanten zu tun hat, dann ruft man halt keine Mücken. Unverrichteter Dinge machte sich der Schlepper von dannen und ließ eine ziemlich ratlose Gesellschaft zurück. Der Landgang am Abend auf Terschelling gestrichen, kein Bier in einer Hafenkneipe, keine Umarmung eines leichten Matrosenmädchens – stattdessen Spazieren im Sand des Wattenmeeres und Suche nach ominösen Wattwürmern. Es hätte nur noch gefehlt, dass der Skipper kleine Eimer und Schäufelchen verteilt hätte. Ich musste an meine roten Schwimmflügel denken, Maria hätte mir besser ein paar Sandalen geschenkt. Wie zum Hohn besserte sich das Wetter und bescherte uns einen schönen Sonnenuntergang. Die Glocke rief zum Abendessen. Diesmal gab es keine Knödel, aber Gulasch mit Spätzle – die Schwabenfraktion hatte sich anscheinend durchgesetzt. So also sah das Kapitänsdinner auf inem holländischen Segelklipper aus. Gut, dass ich meinen feinen Anzug zu Hause gelassen hatte. Das vorzügliche Essen tröstete uns über unsere missliche Lage hinweg und ließ auch das hämische Grinsen der Möwen vergessen. Dunkelheit breitete sich gnädig über das festgefahrene Schiff und seine mutlose Besatzung aus. Die Gespräche des Vorabends wurden wieder aufgenommen – diesmal aber ließ ich das Bier beiseite und sprach mehr dem Rotwein zu, in der Hoffnung dass er mich besser und länger schlafen ließ und die schlechten Gedanken verscheuchte. Helmar versuchte mich von den Vorzügen des Jenseits zu überzeugen und Klaus verteidigte tapfer seine Version der Schöpfung und wollte von Evolution überhaupt nichts wissen. Ab und zu erscholl ein in unseren Kreisen wohl bekannter Refrain, in dem die Sonne überall auf der Welt scheint – nur nicht zwischen der holländischen Küste und den davor gelegenen Inseln, brummte ich vor mich hin. Es brauchte ziemlich viel Magdalener, um uns in Stimmung zu bringen, aber immerhin würde ich am nächsten Tag meine Kopfschmerzen auf den Rotwein und nicht auf den Wellengang schieben können. Der Skipper wusste wohl, warum er sich nicht mehr blicken ließ und jeder bohrenden Frage aus dem Wege ging, selbst Julia, diese zauberhafte Segelnixe, machte sich immer rarer. Nach und nach verschwanden die meisten in ihren Kabinen, nur der
harte Kern blieb zurück. Zu ganz später Stunde gab es dann noch einen kleinen Imbiss. Dieter holte sogar die Friesenwurst vom Haken in der Küche – ich hatte mich schon gewundert, was denn dort über dem Herd hing – und er beteuerte ständig, dass sie vom Vier-Sterne- Metzger stamme. Vier-Sterne wiederholte er immer wieder und erntete nur ungläubiges Staunen allerseits, als ob die Friesen Metzger mit vier Sternen hätten. Die sehen sie höchstens, wenn sie dem Korn zu sehr gehuldigt haben oder der blanke Hans ihnen das Dach von der Hütte gerissen hat. Dann hieß es plötzlich der Schlepper sei in Sicht und wir stürmten an Deck. Ein runder Lichtkegel bohrte sich durch die pechschwarze Friesennacht, Regen peitschte über die Planken und der Wind rüttelte an den fest gezurrten Segeln – eine gespenstische Szenerie. Seile wurden hin und her geworfen und irgendwo festgemacht, dann hatte uns der Schlepper endlich am Haken und zog uns stampfend durch das raue Wasser, das inzwischen zurückgekehrt war. Noch so ein Phänomen, das es nur an der Nordsee gibt –Wasser, das verschwindet und nach ein paar Stunden wieder reumütig zurückkehrt, als ob es einen groben Fehler gemacht hätte. Nie hätte ich geglaubt, mich mal nach Wasser zu sehnen, aber jetzt war es wieder da und wenn der Kapitän nicht vergessen hatte, den Anker zu lichten, dann bestand berechtigte Hoffnung doch noch in den nächsten Hafen zu gelangen – egal, wie er hieß. In flottem Tempo ging es durch die Nacht, in der Ferne waren schemenhaft einzelne Lichter von irgendwelchen Inseln zu erkennen. Unwillkürlich musste ich an den fliegenden Holländer in der Oper gleichen Namens denken, aber hier war es ein nichtschwimmfähiger Südtiroler, der auf einem Segelklipper im Schlepptau durch die unendlichen Weiten des friesischen Wattenmeeres flog, als ob der leibhaftige Störtebeker hinter ihm her wäre. Kälte und Nässe krochen langsam in mich hinein, so dass ich es vorzog wieder unter Deck zu gehen und die Kabine anzusteuern. Klaus war inzwischen neugierig geworden und ebenfalls an Deck gekommen, um sich das Spektakel anzusehen – wie es sich für einen richtigen Holländer auch gehört. Ich kroch in meinen Schlafsack und als Klaus kurze Zeit später kam, stellte ich mich schlafend, da ich keinen Bock auf Diskussion hatte. Irgendwann muss ich dann eingeschlafen sein und träumte von Südsee, Palmen und Sonne, weißem Sand und gut gebauten Mädels in engen Bikinis.
Dritter Tag – Rückfahrt
Auch an diesem Morgen war ich einer der ersten im Aufenthaltsraum. So früh aufzustehen ist eigentlich nicht mein Fall – ich zähle eher zu den Langschläfern – aber was war an diesen Tagen schon normal. Mir taten alle Knochen weh und Helmar, der schlurfend den Gang hochkam, murmelte vor sich hin, das sei wohl das letzte Mal und irgendwie sei er zu alt für derlei Unternehmungen und Maria könne er das auch nicht mehr zumuten. Ich steckte meinen Kopf durch die Luke und stellte fest, dass wir die Nacht irgendwo draußen vor Anker liegend verbracht haben mussten. Wenigstens war das Wasser noch da, das Wetter aber konnte sich nicht so richtig entscheiden, was es wollte. So langsam füllte sich der Raum und der Skipper kam und versprach uns, nach dem Frühstück reinen Wein einzuschenken. Julia schaute auch vorbei, zauberte ihr bekanntes charmantes Lächeln ins Gesicht und faselte etwas von Sonnenschein und günstigem Wind. Das Frühstück war wieder hervorragend, der Tag schien gut zu beginnen und auch sonst war die Stimmung im Steigen. Dann legte der Skipper die Karten auf den Tisch und meinte, keinen holländischen Mechaniker gefunden zu haben, der an einem Sonntag in aller Herrgottsfrüh Schiffsmotoren repariere und er schlage deshalb vor aus eigener Kraft nach Harlingen zurückzusegeln. Mir war inzwischen alles egal – viel schlimmer als die Hinfahrt konnte die Rückfahrt auch nicht werden. Die starken Männer zog es wieder an Deck, um ihre gestern erworbenen Segelkenntnisse einer beeindruckten Frauenriege zu zeigen. Ich hielt mich wieder vornehm zurück und akzeptierte sogar Dienst in der Küche- immer noch besser als von einem wild gewordenen Segelmast getroffen zu werden und am letzten Tag doch noch Bekanntschaft mit dem Nordseewasser zu schließen. Ich wollte es mir gerade wieder auf der Bank gemütlich machen, als ein markerschütternder Schrei durch die Hallen rollte. Irgendeine Toilette in den vorderen Räumen war verstopft und unangenehme Gerüche waberten durch die Gegend. Na ja dachte ich mir, da trifft einer seine alten Bekannten von gestern wieder und das hat man nun davon, wenn man sich in die Luxuskabinen im Vorschiff einquartiert. Also wirklich – uns blieb nichts erspart, aber in der Zwischenzeit konnte mich nichts mehr erschüttern. Der Skipper schnappte sich einen Eimer und machte sich ans Putzen und Aufräumen – das gab mir meinen Glauben an die stoischen Holländer wieder zurück.
Inzwischen hatten wir volle Fahrt aufgenommen, die Segel rappelten im Wind und wir stapften durch die rollenden Wellen. Hoffentlich stimmt heute die Richtung- wenn die Leute an Land Englisch sprechen, dann haben wir halt den Ärmelkanal überquert. Die versprochene Sonne war wieder verschwunden, ich packte die Sonnencreme ein – nichts war es mit dem Einreiben von delikaten Körperteilen. Unten war es jedenfalls gemütlicher als oben und so verrannen die Stunden, bis am Horizont tatsächlich Harlingen auftauchte. Ich muss gestehen, dass ich einigermaßen erleichtert war, denn jetzt konnte eigentlich nicht mehr viel schiefgehen und ich bekam meinen Glauben an die Menschheit zurück. Ein Schwesternschiff kam uns entgegen, legte sich längsseits und wurde mit dicken Tauen mit unserem Schiff verbunden. So ging es in trauter Zweisamkeit zurück in den Hafen. Nach einigen waghalsigen Manövern legten wir wieder da an, wo wir am Samstag aufgebrochen waren. Kurze Lagebesprechung, Dank an die beiden Skipper und die Reederei schickte jemanden vorbei, der sich mit einem Rabatt für die nächste Fahrt und zwanzig Liter Fassbier bei uns entschuldigte – dann noch ein gemeinsames Abschiedsfoto an Deck für „Heimat und Welt“. Jetzt musste nur noch das Ausladen reibungslos über die Bühne gehen. Aber man hatte dazu gelernt und Bretter als Brücken zwischen die Schiffe gelegt. Da hatte wohl jemand Angst um Marias Schuhe. Alle noch einmal kurz umarmt und schnell gebützt, dann ging es zurück ins Rheinland – gemütlich und ohne Stau. Selbst das Wetter hatte sich gebessert, nur kurz vor Leverkusen fing es wieder an zu regnen. Abends schlief ich selig ein mit der Erkenntnis, dass nichts über das eigene Bett geht. Wenn aber jetzt jemand glaubt, ich hätte vom Segeln die Nase voll, der täuscht sich gewaltig, das nächste Mal bin ich
wahrscheinlich wieder dabei – aber bitte sagt es nicht weiter!!
Egon Santer